In Österreich und in Deutschland sind viele Politiker mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie Schlaucherln seien. Denn Wahlversprechen werden in Koalitionsverhandlungen von heute auf morgen über Bord geworfen. Man könnte dieses Verhalten auch als Kompromissfähigkeit interpretieren. Der einzige, der seine Wahlversprechen hält, ist Donald Trump. Er ist allerdings, nobel ausgedrückt, ein Alleinherrscher.
Neulich habe ich den Ausdruck Schlaucherpolitik sogar in einer angesehenen Zeitung Deutschlands gefunden. Dabei dachte ich immer, Schlaucherln gibt es nur in Wien.
Ich habe Schlaucherl in die Suchmaske auf duden.de eingegeben. Die Antwort war: "Leider ergab Ihre Suchanfrage keinen Treffer. Meinten Sie Schlauchpilz, Schlauchwurm oder Schlauch?" Das deutet darauf hin, dass das Wort nicht im gesamten deutschen Sprachraum in Gebrauch ist, sonst hätte es die Duden-Redaktion nicht übersehen. Dort gibt es nur Schlauberger und Schlaumeier.
Die Herkunft des Wortes gibt Rätsel auf. Haben wir es mit einer Verkleinerungsform von Schlauch zu tun? Sicher nicht. Die Mundartprobe beweist es. Ein kleiner Schlauch heißt im Wienerischen Schläucherl, die dialektale Aussprache ist Schleichal.
Gehört das Schlaucherl zu schlauchen? Auch das kann nicht stimmen. Das Verb schlauchen stammt aus der Soldatensprache, die ursprüngliche Bedeutung war "weich machen, wie einen Schlauch", zum Beispiel Rekruten. Wer geschlaucht ist, der hat sich bis zur Erschöpfung angestrengt. Das passt von der Bedeutung her nicht.
In einem Posting lese ich: "Hier in Altbayern gibt es das Schlaucherl. Gemeint ist jemand, der fälschlicherweise denkt, er wäre schlau." (Altbayern ist jener Teil des heutigen Bayerns, in dem bairische Dialekte gesprochen werden; die Gebiete des Freistaates mit schwäbischen, also alemannischen Dialekten, sowie mit hessischen und einigen anderen sind also ausgenommen.)
Das Posting aus Altbayern liefert eine gute Definition. Es gibt auch einen Hinweis auf die Wortherkunft. Weil das Wort Schlauerl so schwer auszusprechen ist, hat man im bairischen Sprachgebiet einen Konsonanten eingefügt: Schlaucherl. (Unter dem bairischen Sprachgebiet versteht man Altbayern plus jene Teile Österreichs, in denen bairisch gesprochen wird, die alemannisch Gebiete Österreichs also ausgenommen).
Dass im Bairischen das Schlauerl zum Schlaucherl wurde, läßt sich auch mit einem Blick in alte Wörterbücher des Wienerischen belegen. Eine Eintragung aus einem 1824 erschienenen Buch hat das Beispiel "ein schlaucher Galgenvogel" - sogar beim Adjektiv wird schlauer zu schlaucher. Als Bedeutung von Schlaucherl wird "schlauer raffinierter Mensch" und "Schlingel" angegeben. Die negativen Nebenbedeutungen hängen wohl auch damit zusammen, dass schlau aus dem Norden Deutschlands stammt. Der alteingesessene Wiener verwendet im Dialekt statt schlau das Wort g'scheit.
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