Zu keiner Zeit im Jahreslauf wird so viel gewünscht. Oder gewunschen? Ich habe einige Anfragen zu diesem Thema bekommen, das Wort ist am 1. Jänner hochaktuell.
Ich muss etwas ausholen. Es gibt starke Zeitwörter wie springen, sprang, gesprungen und schwache oder regelmäßige wie sagen, sagte, gesagt. Starke Verben zeichnen sich dadurch aus, dass sich der Stammvokal ändert, bei springen nach dem Muster i-a-u. Im Zuge der Sprachentwicklung sind viele Zeitwörter, die ursprünglich stark abgewandelt wurden, in die Gruppe der schwachen Zeitwörter gewandert.
Die starken Verben waren früher recht zahlreich, heute existieren nur mehr knapp 200 selbstständige starke Zeitwörter - und da sind die Mischformen schon eingerechnet. Wer Deutsch lernt, muss die wichtigsten, es sind nicht viel mehr als ein Dutzend, auswendig lernen.
Auch schwache Zeitwörter gibt es seit alten Zeiten, und sie vermehren sich ständig, weil alle durch Ableitung gebildeten neuen Zeitwörter nach dem Muster der regelmäßigen, schwachen Flexion abgewandelt werden. Aus dem Substantiv Kleid entstand kleiden, kleidete, gekleidet, aus dem Substantiv Schwarz entstand schwärzen, schwärzte, geschwärzt.
Die Überzahl an schwachen Zeitwörtern hat bewirkt, dass nach und nach viele starke Zeitwörter schwach abgewandelt wurden, so wurde zum Beispiel backen früher nach der a-u-a-Reihe abgewandelt: backen, buk, gebacken, heute meist backen, backte, gebackt - wobei gebacken nicht völlig verschwunden ist.
Hier nun die Antwort auf die Frage: Die Wörterbücher stellen einheitlich fest, dass gewünscht richtig und gewunschen falsch sei. Auch laut „Grimm’schem Wörterbuch“ ist wünschen ein schwaches Zeitwort, aber „abweichend von der normalen Flexion zeigt das Partizip Präteritum, besonders oberdeutsch, gelegentlich die starke Form gewunschen, zum Beispiel bei Abraham a Sancta Clara“.
Mit „oberdeutsch“ sind die süddeutschen Dialekte - das Bairische, Alemannische und Fränkische - gemeint, dort ist also gewunschen durchaus üblich, in der Standardsprache heißt es gewünscht. Außerdem gilt gewunschen als antiquiert, die schwache Form gewünscht als modern.
Nach so viel schwer verdaulicher Grammatik ein Gedicht zur Entspannung. Der Verfasser ist Moritz Gottlieb Saphir, ein österreichischer Schriftsteller und Journalist, der sich mit bissigen Artikeln viele Feinde gemacht hat und ein Leben lang von der Zensur verfolgt worden ist. Auch als Gegner von Johann Nestroy hat er sich zu profilieren versucht. Das Gedicht trägt den Titel “Liebesleid“:
Weil gar zu schön im Glas der Wein geblunken
hat sich der Hans dick voll getrinkt.
Drauf ist im Zickzack er nach Haus gehunken
und seiner Grete in den Arm gesinkt.
Doch weil er gar zu sehr nach Wein gestinkt,
hat sie ganz mächtig abgewunken
und hinter ihm die Türe zugeklunken
Prosit Neujahr! Hiermit hätte ich euch ein gutes 2025 gewunschen …
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